Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die in Österreich rund 13 500 Personen betrifft. Aufgrund der verschiedenen Verlaufsformen und Symptomatiken ist die „Krankheit der tausend Gesichter“ schwer zu erforschen und zu behandeln. Michaela Tanja Haindl hat im Rahmen einer Studie im Forschungsteam der Neuroimmunologie der Universitätsklinik für Neurologie der Med Uni Graz nun erforscht, wie sich Vitamin D in einem Labormodell in der Spätphase der Multiplen Sklerose auswirkt und welche Folgen das für die MS-Forschung im Allgemeinen haben kann.
Wenn das Nervensystem leidet
Die Multiple Sklerose ist eine chronische, aktuell nicht heilbare entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark), bei der die Myelinscheiden der Nervenzellen angegriffen und zerstört werden. Diese Entmarkung (auch Demyelinisierung genannt) führt dazu, dass die Funktion der Nervenzellen eingeschränkt und die Informationsübertragung gestört wird. Die Krankheitsherde können prinzipiell überall im Gehirn und Rückenmark auftreten, weshalb die Symptomatik von Patient*in zu Patient*in sehr unterschiedlich sein kann. Die häufigste Verlaufsform der MS lässt sich grob in zwei Phasen unterteilen: eine entzündliche, schubhafte Frühphase und eine Spätphase, in der kaum mehr Entzündungszellen, dafür aber mehr degenerative Prozesse vorherrschen. „Die Frühphase ist bereits gut erforscht und es steht eine Vielzahl an Medikamenten zur Verfügung, bei der Spätphase ist das leider noch nicht der Fall“, erklärt Tanja Haindl. An der Medizinischen Universität Graz wurde von Michaela Tanja Haindl und Muammer Üçal unter der Forschungsteamleitung von Sonja Hochmeister vor einigen Jahren ein Labormodell entwickelt, das die zellulären Merkmale der MS-Spätphase gut nachstellt.
Mehr Vitamin D für bessere Nerven
In diesem Labormodell wurden nun die Auswirkungen von Vitamin D auf den Fortschritt der Krankheit analysiert. Speziell wurde das Ausmaß der Schädigung der Gehirnrinde im Zuge der Krankheit beobachtet. Bei Ratten, die zusätzlich zur normalen Nahrung mit Vitamin D gefüttert wurden, konnte nachgewiesen werden, dass signifikant mehr zelluläre Strukturen in diesem Teil des Gehirns erhalten geblieben sind. Dies betraf nicht nur einen besseren Erhalt an Myelin und Nervenzellen, sondern auch eine Reduktion apoptotischer Zellen und Mikrogliaaktivierung. Mit Vitamin D behandelte Tiere hatten außerdem signifikant weniger Neurofilament-Leichtketten (sNfL) im Blut. Diese Filamente gelten gegenwärtig als Prädikator für Nervenzellschädigung und damit auch als Biomarker der Progression/des Schweregrades der Multiplen Sklerose.
Darüber hinaus hat das Vitamin bei den Versuchstieren eine Wirkung als Antioxidans entfaltet, was auch im Blutserum nachzuweisen war. Mit Vitamin D behandelte Ratten hatten nicht nur signifikant mehr protektive Polyphenole im Blut, sie hatten auch allgemein eine höhere totale antioxidative Kapazität (total antioxidative capacity, TAC). Da oxidativer Stress unter anderem als ein möglicher Auslöser und Verstärker der MS in Betracht gezogen wird, könnte diese positive Wirkung des „Sonnenvitamins“ durchaus Niederschlag in der weiteren Forschung finden.
Weitere Erkenntnisse
Im Rahmen der Studie wurden noch einige weitere interessante Besonderheiten entdeckt: So konnte gezeigt werden, dass es einen signifikanten Unterschied von männlichen und weiblichen Tieren im Ansprechen auf die Verabreichung von Vitamin D gibt. Weibliche Ratten zeigten beispielsweise generell eine bessere TAC und mehr protektive Polyphenole im Blut. Auch histologisch wiesen weibliche Ratten einen besseren Erhalt der zellulären Strukturen auf als männliche Ratten. Grundsätzlich profitierten aber beide Geschlechter von der Vitamin-D-Gabe, interessanterweise allerdings männliche Ratten tendenziell mehr, vermutlich durch geschlechtsspezifische Unterschiede in der oxidativen Kapazität und den Verteidigungssystemen.
Eine unkritisch zu hohe Dosierung von Vitamin D kann aber dennoch nicht empfohlen werden, denn dies zeigte sogar einen nachteiligen Effekt auf die Erhaltung der Gehirnzellen der Großhirnrinde. Beide Aspekte sind aktuell Gegenstand weiterer Forschungsarbeiten.
Steckbrief: Michaela Tanja Haindl
Michaela Tanja Haindl beschäftigt sich mit neurologischen Erkrankungen und der Frage, wie Nervengewebe geschützt bzw. repariert werden kann. Dazu verwendet sie primär immunhistochemische Ansätze, die einen tiefen Einblick in Krankheitsmechanismen gewähren. In ihrer bisherigen Forschungstätigkeit hat sie sich unter anderem der Erforschung eines bestimmten Zelltyps, der Astrozyten, verschrieben und war an der Entwicklung eines speziellen Labormodells zur Erforschung der Spätphase der MS maßgeblich beteiligt. Der Zusammenschluss des kleinen Forschungsteams brachte schon einige Erfolge, die 2018 mit dem INGE-St.-Forschungspreis und 2019 mit dem Forschungsförderpreis des Landes Steiermark honoriert wurden.