Der Sommer neigt sich dem Ende zu, der Urlaub liegt hinter uns und für die Kleinen und Größeren wird es wieder – oder zum ersten Mal – ernst. Der Schulbeginn ist da und sorgt bei den Kindern und Jugendlichen für gemischte Emotionen. Freude darauf, endlich in die Schule gehen zu können, Freund*innen wiederzusehen oder neue zu finden, aber auch Nervosität vor dem neuen, unbekannten Alltag, anstehenden Prüfungen, Aufgaben und Schularbeiten in der Schule. Isabel Böge, neu berufene Professorin für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Med Uni Graz, gibt Tipps, wie der Schulstart gut gelingen kann.
Die Jüngsten: ein neuer Lebensabschnitt
Für die meisten Kinder ist der Schulstart mit Freude verbunden. Man ist einen Schritt näher am Erwachsensein, man ist jetzt eine*r der „Großen“, lernt Lesen und Schreiben und als zusätzliches „Zuckerl“ gibt es noch eine Schultüte für einen guten Einstieg. Doch manchmal bestehen auch Ängste vor dem Neuen, die das Kind offen kommuniziert oder auch versteckt. Auf alle Fälle ist ein Gespräch mit dem frischgebackenen Schulkind vor dem Schulstart wichtig. Was erwartet das Kind von der Schule? Worauf freut es sich? Wobei ist es sich unsicher? Mit einem offenen Gespräch können Eltern schon sehr früh etwaige Probleme erkennen und Sorgen zerstreuen. Erklären Sie Ihrem Kind, was es in der Schule erwartet, dass es neue Freund*innen kennenlernen kann. Stellen Sie die positiven Aspekte des Schulbesuchs in den Vordergrund. Die Schule sollte keinesfalls etwas Bedrohliches sein, sondern positiv und mit Neugier besetzt werden.
Ein neuer Alltag
„Während im Kindergarten oder in der Kindertagesstätte das Spiel mehr im Vordergrund gestanden ist, kommt nun eine andere Art der Struktur und Anforderung zum Tragen. Dies kann für manche Kinder ungewohnt und anstrengend sein“, so Isabel Böge. Gerade für Kinder mit hohem Bewegungsdrang wird das lange Sitzen in der Schule nicht selten zur Herausforderung. Nicht jedes Kind kann sich schon hinreichend lange konzentrieren und die Trennung von den Eltern fällt zeitweilig schwer, wenn die Lehrkräfte und Mitschüler*innen noch nicht bekannt sind. Zudem warten nach der Schule Hausaufgaben und das Üben des Gelernten. Hilfreich ist es, dem Kind die neue Struktur vorher zu erklären und auf die anstehenden Veränderungen vorzubereiten. Üben Sie das rechtzeitige Aufstehen, richten Sie gemeinsam mit dem Kind einen Lernbereich ein, gehen Sie mit dem Kind zur Schule und lernen Sie den Schulweg, damit später alles klappt. „So bauen Sie Angstschwellen ab und schaffen Sicherheit. Das Kind geht mit dem Gefühl zur Schule: ‚Ich kann das!‘“, führt Isabel Böge fort.
Ein neues Gefühl
Während viele Kinder den Besuch der Schule kaum erwarten können und aufgeregt dem Schulbeginn entgegenfiebern, gibt es auch Kinder, die das, was kommt, skeptisch betrachten. Denn auch wenn die meisten Kinder bereits im Kindergarten von den Eltern eine Zeit lang getrennt waren, stellt die Schule eine neue Situation dar, die neue Ängste hervorrufen oder auch alte Ängste aktualisieren kann – aber nicht muss. Angst ist den Menschen als wichtiger Überlebensmechanismus eingepflanzt, der Umgang mit ihr darum umso wichtiger. Angst warnt uns vor unsicheren Situationen. Als Eltern geht es in dem Moment darum, Sicherheit zu vermitteln. Geben Sie Ihrem Kind zum Beispiel einen Gegenstand mit, der für die Bindung mit den Eltern steht: ein Tuch, ein kleines Kuscheltier, etwas Unauffälliges, das dem Kind trotzdem das Gefühl gibt, dass die Eltern da sind. So vermitteln Sie dem Kind, dass es mit Ihnen im Hintergrund in der Lage ist, die Situation zu meistern, und sicher bald mit viel Freude jeden Tag zur Schule gehen wird.
Und die Größeren?
Das Ende der Ferien sorgt nicht nur bei den Schulbeginner*innen für Aufregung, sondern auch bei „Veteran*innen“. So stehen auch ältere Grundschulkinder und Teenies am Ferienende vor der Herausforderung, wieder in den Schulalltag hineinzufinden. „So schön es ist, Freund*innen wiederzusehen, von den Ferien zu erzählen, wieder in die Struktur des Alltags einzutauchen, der auch Halt und Routine gibt, so gibt es auch jene Kinder und Jugendlichen, die bisher nicht so gut in der Schule integriert waren, die mit Leistungsschwierigkeiten und/oder Mitschüler*innen kämpfen oder das Lernen nicht mögen“, erklärt Isabel Böge einige Herausforderungen des Schulstarts. Wenn die Größeren Angst vor der Schule haben, liegt es im Gegensatz zu den Kleinsten oft an Situationen in der Schule selbst wie Erfolgsdruck oder Problemen im Sozialgefüge (z. B. durch Mobbing). „Oft werden diese Probleme verschwiegen, man merkt eher, dass ein*e Jugendliche*r stiller wird, wenn sich der Schulbeginn nähert, oder aber sich plötzlich zunehmend gereizt zeigt. Hier geht es vor allem darum zu bemerken, dass es ein Problem gibt, die*den Jugendliche*n anzusprechen und dann im offenen Gespräch Probleme zu identifizieren und nach Lösungen zu suchen. Dies ist nicht immer ganz einfach, aber immer möglich“, erläutert Böge.
Hilfe von Expert*innen
Eltern machen in aller Regel intuitiv das meiste richtig und sind die Expert*innen für ihre Kinder. Dennoch ist das Eltern-Sein, gerade wenn es kompliziert wird, nicht immer leicht und manchmal finden auch Eltern einfach keine Lösung. Das macht einen aber nicht zur schlechten Mutter oder zum schlechten Vater. „Im Gegenteil: Zu bemerken, dass es schwierig ist, und sich dann einen Rat, einen Blick von außen zu holen, um in einem Gespräch gemeinsam herauszufinden, wie der Schulstart oder auch die Wiederaufnahme der Schule gut gelingen kann, zeichnet aufmerksame Eltern aus und vermittelt dem Kind Zuversicht und Sicherheit, dass gemeinsam auch schwierige Situationen in der Schule zu meistern sind“, schließt Isabel Böge ab.
Steckbrief Isabel Böge:
Isabel Böge studierte Medizin in Hamburg, Deutschland, und leitete nach ihrer Facharztausbildung zur Kinder- und Jugendpsychiaterin, Systemischen und Traumatherapeutin zuletzt eine 90-Betten-Kinder- und -Jugendpsychiatrie in Ravensburg am Bodensee. Hier stellte sie in ihrer Forschungstätigkeit Themen der Versorgungsforschung wie Hometreatment, aufsuchende Versorgung von Kindern und Jugendlichen in der Schule, Schnittstellen zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Jugendhilfe sowie Entwicklung von therapeutischen Interventionen für Kinder und Jugendliche in den Vordergrund. Seit April 2022 leitet sie die Kinder- und Jugendpsychiatrie am LKH Süd sowie seit Juli 2022 die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Med Uni Graz, an der eine Ambulanz für Kinder und Jugendliche mit psychischen Störungen entsteht, insbesondere für Patient*innen mit Essstörungen, Trans*-Patient*innen sowie Patient*innen mit Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten.