Chromosome - adobestock/ Dan Race

Seltenen Erkrankungen: Kompetenzeinheit eröffnet

Morgen ist der internationale Tag der „Seltenen Erkrankungen“. Seltene Erkrankungen sind als Gruppe gar nicht so selten und betreffen rund 5 % der Österreicher*innen. Eine Erkrankung gilt als selten, wenn weniger als einer unter 2.000 Menschen davon betroffen ist. „Allein in Österreich leiden insgesamt rund 400.000 Menschen an einer seltenen Erkrankung“, weiß Michael Speicher, Vorstand des Diagnostik- & Forschungsinstitutes für Humangenetik an der Med Uni Graz. „Etwa 80 % aller seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingt und beginnen zu 50 % bereits im Kindesalter“, betont Barbara Plecko, Leiterin der Klinischen Abteilung für allgemeine Pädiatrie, die Bedeutung dieses Themenfeldes für die Kinder-und Jugendheilkunde. Genetisch bedingte Krankheitsbilder sind vielfältig und ziehen sich durch alle Teilbereiche der Pädiatrie, von frühkindlichen Epilepsien über seltene Nieren-oder Lebererkrankungen bis hin zur cystischen Fibrose oder angeborenen Tumorsyndromen.


Seltene Erkrankungen: der oftmals lange Weg zur Diagnose

Der Weg zur Diagnose kann im Einzelfall zur Odyssee werden, denn nur ein kleiner Teil der Erkrankungen ist durch das allgemeine österreichische Neugeborenen-Screening abgedeckt. In der Vergangenheit warteten etwa 30 % aller Patient*innen mit einer seltenen Erkrankung mehr als fünf Jahre auf die richtige Diagnose. Eine zutreffende Diagnose ist für Menschen mit seltenen Erkrankungen und deren Familien von großer Bedeutung. Sie ermöglicht eine spezifische Krankheitsaufklärung, spezifische, oft auch personalisierte Therapieverfahren sowie die Kontaktaufnahme mit Selbsthilfegruppen. Häufig geht es auch um Fragen der Familienplanung und das Risiko für weitere Familienmitglieder bzw. Nachkommen.


Neue Abklärungsmethoden führen zu rascherer Diagnose

Bei manchen genetisch bedingten Erkrankungen ist anhand des klinischen Bildes eine konkrete Verdachtsdiagnose und gezielte genetische Untersuchung möglich. Andere Krankheitsbilder zeigen Überlappungen oder können durch Fehler in verschiedenen Genen verursacht werden. „Während in diesem Fall bis vor etwa 10 Jahren mühsam einzelne Gene in Folge untersucht werden mussten, erlauben neue Technologien die simultane Analyse großer Abschnitte des menschlichen Erbguts“, berichtet Michael Speicher. Dadurch hat sich die Zeit zur Erlangung einer genetischen Klärung auf wenige Wochen bis Monate verkürzt. Für genetische Analysen ist vorangehend eine ausführliche Aufklärung sowie Zustimmung der Betroffenen nach dem österreichischen Gentechnikgesetz erforderlich. Das D & F Institut für Humangenetik der Med Uni Graz nimmt dabei eine federführende Rolle ein und koordiniert das „Austrian Network for Medical Genome Analysis“ (MedGenA), ein österreichweiter Zusammenschluss, um für diagnostische Einrichtungen den Zugang zu den modernsten Geräten für Untersuchungen des Erbgutes sicherzustellen. „Durch dieses von der österreichischen Förderagentur für Forschung (FFG) geförderte Infrastrukturprojekt verfügt die Med Uni Graz über die neueste Generation von Sequenziergeräten und entsprechender Ausstattung für die Datenauswertung, sodass am Standort optimale Voraussetzungen für die Aufklärung genetischer Ursachen seltener Erkrankungen gegeben sind“, so Michael Speicher.


Seltene Erkrankungen: Netzwerkbildung führt zu rascherem Wissensaufbau

2021 wurde an der Medizinischen Universität Graz unter Schulterschluss des Diagnostik- & Forschungsinstitutes für Humangenetik mit der Universitätsklinik für Kinder-und Jugendheilkunde sowie Kinder-und Jugendchirurgie sowie allen Partnerkliniken eine Kompetenzeinheit für seltene pädiatrische Erkrankungen gegründet. „Bei vielen seltenen genetischen Erkrankungen sind mehrere Organsysteme, betroffen sodass in der Betreuung der kleinen Patient*innen viele Spezialist*innen optimal zusammenarbeiten müssen“, beschreibt Barbara Plecko die Herausforderungen. Die neu gegründete Kompetenzeinheit ermöglicht einen raschen Aufbau und Austausch von Fachwissen und breiteren Zugang zu spezialisierter Medizin.

Auf Initiative von Sarah Verheyen wurde am D & F Institut für Humangenetik in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik für Kinder-und Jugendheilkunde zudem eine systematische Datenbank für seltene pädiatrische genetische Erkrankungen aufgebaut, um eine bessere Datenlage zu seltenen Erkrankungen zu schaffen und so zum wissenschaftlichen Fortschritt beizutragen.


Öffentliche Informationsveranstaltung an der Med Uni Graz

Morgen findet in der Aula der Med Uni Graz die Gründungsveranstaltung dieser Universitären Kompetenzeinheit für seltene pädiatrische genetische Erkrankungen statt. Der Vormittag ist für den interdisziplinären Austausch und Projektplanungen reserviert; der Nachmittag beginnt mit einem Vortrag zum Thema und ist, unter öffentlicher Teilnahme, dem Austausch mit Selbsthilfegruppen sowie betroffenen Familien gewidmet, welche bereit sind Ihre Erfahrungen zu teilen.


Rund 8.000 seltene Erkrankungen fordern die Gesundheitsberufe zur Kooperation auf

Betrachtet man die Gesamtzahl von etwa 8.000 aktuell bekannten seltenen Erkrankungen, so braucht es einen Zusammenschluss von Ärzt*innen und Mitgliedern aller Gesundheitsberufe, welche in Österreich Patient*innen mit seltenen Krankheiten betreuen und sich gemeinsam mit der Selbsthilfegruppe ProRare umfassend für die Belange von betroffenen Menschen einsetzen. Der Tag der Seltenen Erkrankungen soll jedoch auch zur Solidarität der allgemeinen Bevölkerung beitragen, indem Wissen zum Thema „Seltene Erkrankungen“ vermittelt wird. „Es ist belegt, dass wir von seltenen Erkrankungen auch sehr viel für häufig vorkommende Erkrankungen lernen können - ebenso wie übrigens von jenen Menschen, die an einer seltenen Erkrankung leiden“, so das Resümee der Expert*innen der Med Uni Graz.


Informationsveranstaltung „Tag der Seltenen Krankheiten“

Dienstag, 28.02.2023, ab 13.30 Uhr

Medizinische Universität Graz, Aula, Neue Stiftingtalstraße 6, 8010 Graz

https://www.medunigraz.at/events/detail/seltene-paediatrisch-genetische-erkrankungen

 

Mehr zur Forschung im Bereich „Seltene Erkrankungen“ an der Med Uni Graz kann man hier nachsehen:

https://www.medunigraz.at/videos/steirischer-hochschulraum-orf-steiermark/seltene-erkrankungen

Kontakt

Univ.-Prof. Dr.
Michael Speicher 
Diagnostik- & Forschungsinstitut für Humangenetik
Medizinische Universität Graz
T: +43 316 385 73811

Kontakt

Univ.-Prof.in Dr.in
Barbara Plecko 
Klinische Abteilung für allgemeine Pädiatrie
Medizinische Universität Graz