Zöliakie (engl. Celiac disease, CD) ist eine lebenslange systemische Autoimmunerkrankung, die aus einer Überempfindlichkeit gegenüber Gluten resultiert. Zöliakie-Patient*innen müssen konsequent eine glutenfreie Diät einhalten, denn jeglicher Verzehr von Gluten, ob beabsichtigt oder nicht, kann schwere Folgen für die Gesundheit der Betroffenen haben. Als Partnerinstitution im durch das „Interreg Danube Transnational Programme“ geförderten EU-Projekt „CD SKILLS“ (Improving celiac disease management in the Danube region by raising the awareness, improving the knowledge and developing better skills) verfolgt die Med Uni Graz das Ziel, das Bewusstsein für diese Erkrankung österreichweit zu schärfen und Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität Betroffener zu forcieren.
Überreaktion des Immunsystems auf Gluten bleibt oft unentdeckt
Durch eine Glutenunverträglichkeit kommt es bei Zöliakie zu einer Überreaktion des Immunsystems und zu einer chronischen Entzündung der Dünndarmschleimhaut. Etwa 1% der Bevölkerung leidet an dieser Erkrankung, wobei sich neun von zehn Betroffenen ihrer Krankheit nicht bewusst sind, da die Symptome sehr unterschiedlich sein können. „Häufige Magen-Darm-Probleme, Mangelernährung und Gewichtsverlust sowie Wachstumsverzögerung bei Kindern können darauf hindeuten, aber auch Eisenmangel kann ein frühes Zeichen sein“, erklärt Projektkoordinatorin Almuthe Hauer von der Klinischen Abteilung für Allgemeine Pädiatrie der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde an der Med Uni Graz. Schon bei den Jüngsten sollte man auf die Symptomatik achten, zumal Zöliakie meist bereits im Kindesalter diagnostiziert wird, so die Expertin. Im Allgemeinen kann diese Erkrankung aber in jedem Alter auftreten, wobei doppelt so viele Frauen wie Männer betroffen sind. Auch erbliche Faktoren dürften eine wesentliche Rolle spielen, denn bis zu 18% der Verwandten ersten Grades von Zöliakie-Patient*innen haben ebenfalls eine Zöliakie. „Von etwa 1,2 Millionen Menschen in der Donauregion, die unter dieser Glutenunverträglichkeit leiden, bleiben bis zu 80% undiagnostiziert und viele Patient*innen werden erst mit Verzögerung diagnostiziert, teilweise erst bis zu zehn Jahre nach Auftreten der Erkrankung“, schildert Projektmitarbeiter Manuel Prevedel die Problematik.
Projekt „CD SKILLS“: Aktiver Informationsaustausch und Maßnahmen zur Aufklärung
Die Gründe für unbemerkte und in weiterer Folge unbehandelte Zöliakie sind ein geringes Bewusstsein und mangelndes Wissen über die Krankheit; aber auch ein begrenzter Zugang zu diagnostischen Hilfsmitteln und fehlende innovative Aufklärungsmethoden verschärfen das Problem. Hier setzt das Projekt „CD SKILLS“ an: Mit vereinter Expertise will die Kooperation aus Krankenhäusern, Universitäten, Vereinen, Gemeinden und Lebensmittelherstellern aus Belgrad, Budapest, Chișinău, Debrecen, Graz, Meran, München, Prag und Zagreb den genannten Schwierigkeiten entgegenwirken. Die Gesundheitssysteme sollen in der Lage sein, die gesundheitlichen und sozialen Bedürfnisse von Zöliakie-Patient*innen zu erfüllen, aber auch die breite Gesellschaft soll mit dem Krankheitsbild vertraut sein, so das Ziel. Die Dringlichkeit dafür sieht die Expertin v.a. in den Konsequenzen der Erkrankung. „Der wiederholte Verzehr von Gluten bzw. die Nichteinhaltung der Diät kann schwere gesundheitliche Folgen haben: von Verdauungsproblemen, Bauchschmerzen und Gewichtsverlust über Anämie, chronische Müdigkeit, pathologischen Knochenbrüchen bei Osteoporose und Autoimmunhepatitis bis hin zu neurologischen und psychiatrischen Auffälligkeiten oder Wachstums- und Entwicklungsverzögerungen bei Kindern“, warnt Almuthe Hauer. Zudem ist die Zöliakie oft mit anderen Autoimmunerkrankungen assoziiert, wie u.a. Schilddrüsenerkrankungen oder Diabetes mellitus I, die bei adäquatem Zöliakie-Management ebenfalls besser erfasst und somit behandelt werden können.
Ernährung: Lebenslang glutenfrei essen – unerlässlich für Betroffene?
Nach der Diagnose fühlen sich Zöliakie-Patient*innen oft in ihren Ernährungsgewohnheiten stark eingeschränkt, zumal viele Lebensmittel vom Speiseplan gestrichen werden müssen. „Lebensmittel von Zöliakie-Patient*innen dürfen nur weniger als 20 mg Gluten pro kg Endprodukt oder weniger als 20 ppm enthalten, das heißt weniger als ein halbes Weizenkorn pro Kilogramm Reis beispielsweise. Die Diät ist also sehr anspruchsvoll, da Gluten in Getreidesorten wie Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel und deren Kreuzungen enthalten ist“, so Almuthe Hauer. Das Klebereiweiß steckt damit auch in vielen Backwaren und getreidehaltigen Produkten wie Brot, Nudeln, Pizza oder Müsli. Daher sind Hersteller verpflichtet, glutenhaltige Nahrungsmittel nach der Allergenkennzeichnungspflicht auszuweisen. Für zahlreiche dieser Lebensmittel gibt es mittlerweile glutenfreie Varianten, die allerdings wesentlich teurer und für Betroffene viel schwerer leistbar sind. „In Österreich wird für an Zöliakie erkrankte Kinder und Jugendliche die erhöhte Familienbeihilfe gewährt, weshalb wir für die Partnerstaaten in „CD Skills“ diesbezüglich als role model fungieren“, betont die Projektkoordinatorin. Je besser sich Betroffene über die glutenfreie Ernährung informieren, desto mehr Möglichkeiten finden sie auch, sich dennoch abwechslungsreich zu ernähren. Zu glutenfreien Getreidesorten gehören u.a. Reis, Mais, Hirse, Buchweizen, Amaranth oder Quinoa. „Neben einer lückenlos glutenfreien Ernährung, die auch für symptomlose Patient*innen dauerhaft unerlässlich ist, müssen anfangs oft auch Mangelzustände ausgeglichen werden, die Folge der Darmentzündung und gestörten Nährstoff-Aufnahme ins Blut sind“, so ihre Empfehlung.
Steckbrief: Almuthe Hauer
Almuthe Hauer leitet die ÖÄK-Ausbildungsstätte und das GPGE-zertifizierte Weiterbildungs-zentrum für Pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Med Uni Graz, wo sie sich vor allem der Behandlung und Therapie von Kindern und Jugendlichen mit Magen-Darm- bzw. Lebererkrankungen widmet. Seit 1998 ist sie Mitglied der wissenschaftlichen Fachgesellschaft „European Society for Paediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition“ (ESPGHAN), u.a. auch langjährig im Vorstand, und i.R. der „ESPGHAN Porto Group“ aktiv in internationale Forschungsprojekte rund um chronisch-entzündliche Darmerkrankungen eingebunden.