Mitochondrium - Credit: AdobeStock/Dr_Microbe

Wie Mitochondrien reagieren, wenn die Energie knapp wird

Mitochondrien sind kleine Organellen in unseren Zellen, die eine wichtige Aufgabe erfüllen. Sie generieren mit Adenosintriphosphat (ATP) den Stoff, den unser Körper als Energie für verschiedenste Prozesse verwendet. Sie sind winzig, aber wegen ihrer Rolle als chemische Kraftwerke lebensnotwendig. Die Forschungsgruppe rund um Roland Malli vom Lehrstuhl für Molekularbiologe und Biochemie im Gottfried Schatz Forschungszentrum und seit Kurzem an der Core Facility Bioimaging und Durchflusszytometrie der Med Uni Graz hat einen genaueren Blick auf die Organellen geworfen und darauf, was passiert, wenn sie unter Stress stehen. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass ein Enzym als Schutzmaßnahme Ringe um die Zellorganellen schnürt.


Wenn die Zelle „hungert“

Um ihrer Arbeit korrekt nachgehen zu können, brauchen Mitochondrien bzw. die Zelle Energie in Form von verschiedenen Nährstoffen. Doch was passiert, wenn es plötzlich aus welchem Grund auch immer zu einem bestimmten Nährstoffmangel kommt, wenn der Strom an Nahrung und Energie ausfällt? Genau das hat Johannes Pilic, PhD-Student im Team und zurzeit Forscher an der ETH Zürich, im Rahmen der Publikation, erschienen im Journal Molecular Cell, erforscht. Dabei sind die Grazer Forscher*innen auf einen interessanten Mechanismus gestoßen. Ein Enzym, genannt Hexokinase 1 (HK1), legt sich in diesem Fall wie ein Ring um das Mitochondrium und schnürt es ein. Diese vorerst unerwartete Entdeckung war laut Roland Malli eigentlich wie so oft ein Zufallsfund: „Johannes Pilic sollte in seiner Doktorarbeit eigentlich untersuchen, unter welchen Bedingungen die HK1 in Krebszellen von den Mitochondrien abwandert.“


Methodik der Forschung

Die Forscher*innen nutzten ihre Expertise in der Sichtbarmachung biologischer Prozesse mithilfe sogenannter fluoreszierender Proteine. Dafür wurde ein besonders hell leuchtendes, grün fluoreszierendes Protein (GFP) an die HK1 fusioniert. Diese Methode ermöglichte es, die Umverteilung der HK1 während des Energiestresses in lebenden Zellen mithilfe hochauflösender Fluoreszenzmikroskope im Live-Cell-Modus zu beobachten. „Dank dieser modernen Technik konnten wir genau nachvollziehen, wie sich die HK1-Ringe an den Mitochondrien entwickeln“, erklärt Johannes Pilic.


Ein „Rettungsring“

Dieses Einschnüren des Mitochondriums hat mehrere Folgen. Erstens verändert der HK1-Ring um das Mitochondrium den Stoffwechsel des Organells, zweitens kann es an der Stelle der Einschnürung zu einer Spaltung des Mitochondriums kommen, sobald alle nötigen Nährstoffe wieder vollständig vorhanden sind. Weiters wurde herausgefunden, dass sich diese Ringe hauptsächlich an Stellen formen, an denen das Mitochondrium mit einem anderen Zellorganell, dem sogenannten endoplasmatischen Reticulum (ER), verbunden ist. Das ER ist in der Zelle an wichtigen Prozessen wie dem Transport oder der „Qualitätskontrolle“ gefalteter Proteine beteiligt.

Johannes Pilic erläutert: „Wir konnten zeigen, dass die HK1-Ringe sich speziell an den Kontaktstellen zwischen Mitochondrium und ER bilden. Dies könnte entscheidend sein, um die Energieverteilung bei Zellstress effizient zu steuern und die besondere Situation auch nach außen zu kommunizieren.“


Schutz vor der Spaltung

Ein weiteres spannendes Ergebnis der Forschung ist, dass HK1-Ringe die Teilung von Mitochondrien verhindern, solange die Zelle im Energiestressmodus ist. Dies ist wichtig, da das Verhindern des Spaltens ein Schutzmechanismus bei einer akuten Unterversorgung (zum Beispiel Ischämie bei einem Blutgefäßverschluss) darstellen könnte.

Roland Malli betont: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Bildung von HK1-Ringen eine Schutzmaßnahme der Zelle ist, um sich vor Schäden während einer Nährstoffknappheit zu schützen.“


Bedeutung der Forschung und zukünftige Schritte

Diese Erkenntnisse könnten langfristig dazu beitragen, neue therapeutische Ansätze zur Behandlung von Erkrankungen zu entwickeln, die durch Energiemangel in Zellen verursacht werden. Zum Beispiel könnten sie bei der Behandlung bestimmter Krebsarten nützlich sein, bei denen Substratmangel herrscht, wenn Blutgefäße den schnell wachsenden Tumor noch nicht ausreichend versorgen. In diesem Fall könnte es möglich sein, gezielt den Energiemangel der Krebszellen zu verstärken und sie so in den Zelltod zu treiben oder für das Immunsystem erkennbar zu machen. Zudem könnte die Neuentdeckung der HK1-Ringe bei der Zellalterung, die mit einer Stoffwechselumstellung einhergeht, neue Wege eröffnen, um den altersbedingten Funktionsverlust zu verlangsamen. Besonders relevant wären diese Erkenntnisse auch bei akuten Ereignissen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt, bei denen Zellen aufgrund von Sauerstoff- und Nährstoffmangel absterben. Hier könnte das Wissen um die Schutzmechanismen helfen, Zellen während solcher Krisen zu bewahren und ihre Regeneration zu fördern.


Ausblick auf weitere Forschung

Die Forschung geht nun weiter, indem die Forscher*innen weitere Projekte anvisieren, um die physiologische und pathologische Bedeutung der HK1-Ringe bei verschiedenen Krankheitsbildern wie Krebs, Zellalterung, Schlaganfall und Herzinfarkt zu untersuchen. Ziel ist es, die Entdeckung im Labor für die Therapie nutzbar zu machen.

„Dieses Forschungsprojekt hat uns besonders weitergebracht, weil wir erkannt haben, dass HK1 nicht nur ein Enzym im Stoffwechsel ist, was ja hinlänglich und schon sehr lange bekannt ist, sondern auch, dass die HK1 noch eine völlig andere Funktion erfüllt“, erklärt Roland Malli. „Im Stress polymerisiert sie und verändert so die Struktur der Mitochondrien maßgeblich. Im wissenschaftlichen Englisch nennt man das auch ,moonlighting‘, was bedeutet, dass HK1 neben ihrer eigentlichen enzymatischen Funktion noch ,schwarzarbeitet‘. Das ist ein wichtiger Wissensgewinn für uns.“


Steckbrief: Roland Malli

Roland Malli ist seit 25 Jahren an der Medizinischen Universität als Grundlagenforscher im Bereich Zellbiologie und Biochemie tätig. Er studierte Pharmazie in Graz und habilitierte bereits in jungen Jahren an der Medizinischen Universität im Fach molekulare und zelluläre Physiologie. Besonders bekannt und geschätzt ist er in der Scientific Community für seine kontinuierlichen Beiträge im Bereich der Biosensorentwicklung. Er und sein Team haben mehrere Patente eingereicht, unter anderem für Kaliumbiosensoren und Biosensoren für Stickstoffmonoxid.

Roland Malli hat ein Talent dafür, junge Leute mit Leidenschaft für die Forschung zu rekrutieren und so gut auszubilden, dass sie hervorragende Karrieren machen können. Viele seiner Schützlinge haben Positionen an Topuniversitäten und Forschungseinrichtungen wie der Harvard Medical School, der Medipol-Universität in Istanbul, der ETH Zürich, dem CeMM in Wien oder der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen erhalten.

Vor wenigen Monaten wechselte Roland Malli an das Zentrum für Medizinische Forschung (ZMF). Dort widmet er sich der nachhaltigen und modernen Ausrichtung der Mikroskopie, einer Schlüsselmethode der modernen naturwissenschaftlichen medizinischen Forschung.

Kontakt

Assoz. Prof. Priv.-Doz. Mag. pharm. Dr. rer. nat.
Roland Malli 
Core Facility Bioimaging & Durchflusszytometrie
Medizinische Universität Graz
T: +43 316 385 71956