Depressionen bei Jugendlichen-NewAfrica/AdobeStock.com

Wie man depressiven Jugendlichen am besten helfen kann

Möglicherweise reagieren Jugendliche auf erste Gesprächsversuche mit Abwehr. Trotzdem sollte man nicht lockerlassen und das Thema immer wieder aufbringen, rät eine Ärztin. Wie sehr sich die Corona-Maßnahmen auf die psychische Gesundheit auswirken würden, wurde im Frühjahr 2020 sehr schnell klar – und für viele auch spürbar. Besonders Kinder und Jugendliche hatten mit den Schulschließungen zu kämpfen. Aber auch als die Lockdowns endeten und der Alltag Stück für Stück zur Normalität zurückkehrte, beobachteten Fachleute in den österreichischen Einrichtungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie einen Negativtrend: Es kam weiterhin vermehrt zu Depressionen, Ängsten, Zwängen und Suizidalität.

Und diese Entwicklung hält bis heute an, berichtet Isabel Böge, Abteilungsleiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Med Uni Graz und Primarärztin am LKH Süd: "Vor Corona machten Störungen des Sozialverhaltens gut die Hälfte unserer Fälle aus. Jetzt ist Depression eine der häufigsten Aufnahmediagnosen, nicht selten einhergehend mit Suizidalität. "Bis Betroffene bei Fachleuten vorstellig werden, dauert es aber oft lange. Für Eltern ist es schwierig zu erkennen, ob es sich um ganz normale Stimmungsschwankungen im Jugendalter handelt oder ob sich dahinter ein ernstzunehmendes Problem verbirgt. "Das abzuschätzen ist für Laien tatsächlich nicht so einfach", sagt auch die Expertin. Jugendliche sagen schnell einmal, sie seien "depri". Insofern muss man nicht bei jeder Aussage reagieren. Grundsätzlich sind bei Depressionen drei Faktoren entscheidend: Interessenverlust, Stimmungstief, Freudlosigkeit. Treten diese drei Parameter für mindestens zwei Wochen ohne Unterbrechung auf, könnte es sich um eine depressive Erkrankung handeln.


Kinder haben bei Depression eher körperliche Symptome

Aber man muss differenzieren, denn Depression äußert sich je nach Alter der Kinder und Jugendlichen unterschiedlich. "Die kindliche Depression bei Kindern bis zwölf ist wesentlich versteckter als die bei Teenagern", erklärt Böge. Bei Jüngeren kommt es häufiger zu körperlichen Symptomen wie Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Bauchschmerzen, Lustlosigkeit oder Stimmungsschwankungen wie Reizbarkeit und Aggressivität. "Kinder sind bei einer Depression oft nicht klassisch depressiv, ihre Stimmungen können in alle Richtungen schwanken", sagt die Expertin. Suizidalität sei bei Kindern selten zu beobachten, weil sie im Alter von bis zu zehn Jahren in der Regel noch kein Todeskonzept haben. "Wenn überhaupt, wird eine suizidale Äußerung impulsiv benannt, dass sie einen kurzen Moment nicht mehr da sein wollen, weil sie wütend auf Mama oder Papa sind", berichtet Böge. Hier handelt es sich in aller Regel aber nicht um ernsthafte Suizidalität. Dennoch sind solche Äußerungen eines Kindes sehr ernst zu nehmen. Die jugendliche Depression hingegen ähnelt der von Erwachsenen: sozialer Rückzug, Antriebs- und Interessenverlust, Zukunftsängste und Selbstwertprobleme.

Oft kommt es auch zu einem deutlichen Leistungsabfall in der Schule. "Suizidalität im Jugendalter ist anders als bei Erwachsenen, impulsiver, momentbezogen. Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass Jugendliche an einem Tag suizidal sind und am nächsten Tag die Weltreise planen", erklärt die Expertin. Meist gehe es nicht um eine sogenannte Bilanzsuizidalität, also dass Betroffene Bilanz ziehen im Sinne von "Die vergangenen drei Jahre waren so schlimm, das hat alles keinen Sinn mehr". "Reaktive impulsive Suizidäußerungen oder Suizidversuche machen aktuell die Hälfte der Aufnahmen aus", berichtet Böge aus der Praxis. Aber nur zehn Prozent davon würde sie als ernsthaft suizidal einschätzen. Man dürfe diese impulsiven Suizidandrohungen aber nicht unterschätzen: In dem Moment seien sie sehr ernst gemeint.


Symptome ansprechen

Im Zweifelsfall gilt deswegen: lieber zu früh das Gespräch suchen als zu spät. Je länger man zuwartet, desto länger kann es dauern, den Betroffenen aus der Krise zu helfen. Am wichtigsten sei, das Thema möglichst direkt anzusprechen, rät die Expertin: "Je direkter, desto besser." Denn üblicherweise sprechen betroffene Kinder und Jugendliche das Problem nicht von selbst an bzw. können es möglicherweise gar nicht benennen. Allerdings trauen sich häufig ihnen nahestehende Menschen nicht, die Betroffenen anzusprechen, haben Angst, etwas Falsches zu sagen. "Aber genau dann bleiben die Kinder und Jugendlichen mit ihrer Problematik alleine. Depression ist die Abwesenheit der anderen, sagt man in Fachkreisen", erklärt Böge. Am besten sollte man die Symptome, die man beobachtet in einem ruhigen Moment ansprechen, etwa mit: "Mir ist aufgefallen, du bist in letzter Zeit stiller und viel mehr in deinem Zimmer. Ich habe dich auch schon länger nicht mehr mit deinen Freundinnen gesehen." "Das Thema Schule würde ich erst einmal außen vor lassen, obwohl der Leistungsabfall in vielen Fällen sehr deutlich ist", sagt Böge. Es kann auch helfen, die Symptome, die man beobachtet hat, auf sich selbst zu beziehen und für die Betroffenen einzuordnen, etwa so: "Bei mir würde so ein Verhalten bedeuten, dass es mir nicht gut geht."

"Wenn sich das Gegenüber im Gespräch öffnet, sollte man nicht sofort Lösungen für das Problem suchen, das können Jugendliche mit einer Depression in dem Moment meist gar nicht aufgreifen, und es verstärkt eher eine eigene Entwertung", betont Böge. Es gehe erst einmal darum anzubieten, dass man zuhört und einfach nur da ist. Dann kann gemeinsam überlegt werden, ob Hilfe von außen Sinn machen kann.


Nicht locker lassen

Wenn Jugendliche auf den Gesprächsversuch mit Abwehr reagiert, sollte man trotzdem dranbleiben, "vielleicht nicht unmittelbar, aber das Thema am nächsten Tag noch einmal aufbringen". Kleine Hinweise jeden Tag seien jedenfalls förderlicher, als Druck auszuüben. Denn Druck führe meist zu maximalem Rückzug oder gar zu Suizidalität. Und: Eltern sollten die Zurückweisung nicht persönlich nehmen, auch wenn sie häufig von Betroffenen nicht sehr wertschätzend geäußert wird – und noch einmal betonen: "Ich möchte dir Hilfe anbieten, auch wenn du sie heute noch nicht annehmen kannst."

Das ist für Nahestehende oft eine besonders herausfordernde Situation. Sie leiden mit den Kindern mit und machen sich Vorwürfe. "Aber die Eltern sind nicht schuld", stellt die Expertin klar. "Natürlich schaut man sich in der Psychotherapie an, was in der Familie los war, um die Situation zu verstehen. Aber wenn Eltern wahrnehmen, dass es dem Kind nicht gut geht, und das auch ansprechen, wurde schon vieles richtig gemacht."


Stigma immer noch groß

Durch die Corona-Pandemie hat sich das Tabu rund um psychische Erkrankungen zwar immer mehr gelöst, das zeigen auch Studien, aber ganz befreit vom Stigma ist das Thema noch lange nicht. Böge beobachtet das nahezu täglich an ihren beiden Arbeitsstellen: "An der Uni werden wir in der Ambulanz von Patientinnen und Patienten überlaufen, weil sie ganz normal durch die Tür in die Aufnahme gehen können und nicht gleich das Gefühl haben, sie gehen in die Psychiatrie. Am LKH Süd hingegen haben wir deutlich mehr Platz", berichtet sie. Kurz: Je normaler etwas erscheint, desto eher holen sich Betroffene Hilfe bzw. können sie annehmen. Das sei auch ein wichtiger Aspekt für Eltern. Es kann helfen, wenn sie in Gesprächen betonen, dass das Abklären durch einen Arzt oder eine Ärztin der eigenen Beruhigung dient, etwa durch Sätze wie: "Wenn du einen gebrochenen Fuß hättest, würden wir das auch anschauen lassen. Lass uns doch einfach abklären, ob es dir gut geht, und wenn wirklich alles in Ordnung ist, lass ich dich wieder in Ruhe."

Sollte nicht alles in Ordnung sein, ist dann der wichtigste Schritt in Richtung Besserung schon getan, und man kann gemeinsam mit Fachleuten überlegen, wie es weitergeht. "Bei einer Depression braucht man einen langen Atem", sagt die Expertin. Die Erkrankung sei oft langwierig, aber: "Sie ist auch gut behandelbar, um wieder zurück in den Alltag zu finden."

Textnachweis: Magdalena Pötsch, DER STANDARD vom 01.09.2023