Wie muss eine Technologie sein, damit sie von Kindern mit einer Entwicklungsstörung gerne verwendet wird? Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich das Erasmus+-Projekt „TE(A)CHADOPT – Teaching students how children with neurodevelopmental disorders adopt and interact with technologies“. Die Koordination des Projekts obliegt der Med Uni Graz, die gemeinsam mit sechs Partner*innen in Europa und darüber hinaus an diesem interdisziplinären Projekt arbeitet. Katrin Bartl-Pokorny von der Klinischen Abteilung für Phoniatrie der Med Uni Graz führt das Projekt an.
Studierende sind die Technologieentwickler*innen von morgen
Softwarebasierte Technologien wie Apps oder soziale Roboter spielen eine immer größer werdende Rolle im Alltag von Kindern mit Entwicklungsstörungen. So werden sie beispielsweise zu Therapiezwecken und als Kommunikationshilfen eingesetzt. Vielfach ist die Barrierefreiheit von Technologien für Kinder mit Entwicklungsstörungen jedoch nicht ausreichend gegeben. Zugleich wird dieses Thema in der Ausbildung derjenigen Studierenden, die in ihrem Berufsleben Technologien entwickeln und/oder einsetzen werden, noch kaum behandelt. Im Rahmen dieses von der Europäischen Kommission geförderten Projekts sollen Studierende verschiedener Fachgruppen (vor allem Humanmedizin, klinische Psychologie, Informatik und Elektrotechnik) fundierte Kompetenzen über Barrierefreiheit von Technologien für Kinder mit Entwicklungsstörungen erhalten. Durch ein verstärktes Bewusstsein für Barrierefreiheit und das erworbene Wissen zu dieser Thematik soll diese nächste Generation an Mediziner*innen, Techniker*innen, Therapeut*innen und Forscher*innen bessere Tools für Kinder mit Entwicklungsstörungen entwickeln und auf den Markt bringen.
TE(A)CHADOPT erklärt
Im Rahmen des Projekts sollen Leitlinien zur Evaluation von Technologien hinsichtlich ihrer Barrierefreiheit für Kinder mit Entwicklungsstörungen erstellt werden. Technologieentwickler*innen können ihre Produkte mithilfe dieser Leitlinien evaluieren und optimieren. Ein wesentlicher Bestandteil des Projekts ist die Vermittlung der im Projekt gewonnenen Erkenntnisse an Studierende, die die Technologieentwickler*innen von morgen sind. Damit soll nachhaltig eine bedeutende Wissenslücke bei Technologieentwickler*innen geschlossen werden. Studierende werden lernen, was barrierefreie Technologien ausmacht und wie die Barrierefreiheit von Produkten bewertet werden kann. Die Studierenden sollen Wissen aus verschiedenen Fachgebieten erwerben sowie ein starkes Bewusstsein für die Bedeutung barrierefreier Technologien und die damit einhergehenden Chancen für Kinder mit Entwicklungsstörungen gewinnen, um künftig in interdisziplinären Teams die Entwicklung maßgeschneiderter Technologien für alle Kinder voranzutreiben. Es ist zu erwarten, dass sich eine optimale Anpassung der Technologien an die Wünsche und Bedürfnisse von Kindern mit Entwicklungsstörungen positiv auf die Therapie der Kinder auswirkt, ihre Lebensqualität verbessert und die Inklusion der Kinder und ihrer Familien fördert.
Die Forscher*innen führen systematische Literaturrecherchen zu Modellen und Methoden der Beurteilung von Technologieakzeptanz und zur Bewertung des Interaktionsverhaltens von Menschen mit Technologien durch. Im Rahmen eigener Datenerhebungen und -analysen in verschiedenen Ländern wird getestet, ob sich etablierte Technologieevaluationsstrategien bei Kindern mit Entwicklungsstörungen bewähren und welche neuen beziehungsweise adaptierten Ansätze sich eignen. „Wir werden eine Beobachtungsstudie mit 25 Kindern durchführen, Leitlinien zur Bewertung der Interaktion von Kindern mit Technologien entwickeln und diese in sechs Sprachen zur Verfügung stellen“, erklärt Katrin Bartl-Pokorny. Studierende werden aktiv in die Durchführung aller Teilbereiche des Projekts eingebunden. Außerdem soll umfangreiches Lehrmaterial erstellt werden, das in zum Teil neu implementierten Lehrveranstaltungen der beteiligten Universitäten eingesetzt und auch anderen Hochschullehrer*innen kostenfrei zur Verfügung gestellt wird.
TE(A)CHADOPT soll dazu beitragen, dass sich der Fokus der Technologieanbieter*innen noch stärker von der Herstellung reiner Lernanwendungen auf maßgeschneiderte und unterhaltsame Anwendungen für Kinder mit Entwicklungsstörungen verlagert. „Ziel ist, dass die Kinder die Technologien mit Freude und somit auch regelmäßig nutzen. Technologien haben ein großes Potenzial für die Unterstützung von Kindern mit Entwicklungsstörungen, doch dieses können sie erst voll entfalten, wenn die Kinder die Technologien auch tatsächlich annehmen. Unsere Leitlinien werden Unterstützung bei der Anpassung der Produkte an die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder bieten. Unser Lehrmaterial wird Studierenden in vielen Ländern Kompetenzen zum Thema Barrierefreiheit von Technologien vermitteln“, erklärt Katrin Bartl-Pokorny.
Daten zum Projekt:
Name: | TE(A)CHADOPT – Teaching students how children with neurodevelopmental disorders adopt and interact with technologies |
Projektstart: | 15.12.2024 |
Laufzeit: | 36 Monate |
Förderung: | EUR 400.000 |
Fördergeberin: | Europäische Union (Erasmus+ KA220-HED – Kooperationspartnerschaften im Bereich Hochschulbildung) |
Kooperationspartner*innen: | Politechnika Gdańska (Polen), Yeditepe Üniversitesi Vakif (Türkei), Istanbul Teknik Üniversitesi (Türkei), Klinikum der Technischen Universität München (Deutschland), Beit Issie Shapiro (Israel), Alliance for Applied Psychology (Nordmazedonien) |
Website: | https://www.medunigraz.at/teachadopt |
Steckbrief: Katrin Bartl-Pokorny
Katrin Bartl-Pokorny absolvierte das Diplomstudium der Angewandten Sprachwissenschaft an der Universität Graz sowie das Doktoratsstudium der Medizinischen Wissenschaft an der Medizinischen Universität Graz. Sie ist Senior Lecturer an der Klinischen Abteilung für Phoniatrie der Medizinischen Universität Graz und wissenschaftliche Projektmitarbeiterin am Lehrstuhl für Informatik im Gesundheitswesen am Klinikum der Technischen Universität München. Katrin Bartl-Pokorny forscht zu typischen und atypischen (Kommunikations-)Entwicklungsverläufen sowie zu sprach- und stimmbasierter Erkennung von Erkrankungen. Im Zuge ihres Auslandsaufenthalts an der Universität Augsburg arbeitete sie im Rahmen des Erasmus+-Projekts EMBOA an Emotionserkennung von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung während roboterunterstützter Therapieeinheiten.