Viktoria Weinberger - Credit: Med Uni Graz

Neue Spezies im menschlichen Darm entdeckt

Ein internationales Team von Mikrobiolog*innen der Medizinischen Universität Graz, der DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (Braunschweig, Deutschland) – sowie der University of Illinois (USA) hat eine bislang unbekannte methanbildende Archaeenspezies aus dem menschlichen Darm identifiziert und beschrieben: Methanobrevibacter intestini sp. nov. (Stamm WWM1085). Darüber hinaus wurde eine neue Variante der bekannten Art Methanobrevibacter smithii, bezeichnet als „GRAZ-2“, isoliert. Damit setzten die Wissenschafter*innen einen weiteren wichtigen Schritt für das Verständnis der Interaktion zwischen Mensch und Mikrobiom.


Unbekannte Ureinwohner des Darms: was Archaeen so besonders macht

Archaeen sind eine eigenständige Domäne des Lebens – neben Bakterien und Eukaryoten (also Lebewesen mit Zellkern wie Tiere, Pflanzen und Pilze). Obwohl sie unter dem Mikroskop ähnlich wie Bakterien aussehen, unterscheiden sie sich in vielen grundlegenden Aspekten: etwa in ihrer Zellmembran, in Stoffwechselwegen und genetischen Eigenschaften. Ursprünglich entdeckte man Archaeen vor allem in extremen Lebensräumen wie heißen Quellen oder Salzseen, doch inzwischen ist klar: Auch der menschliche Körper, insbesondere der Darm, wird von ihnen besiedelt.

Methanbildende Archaeen, sogenannte Methanogene, sind besonders spannend: Sie produzieren Methan aus einfachen Substraten wie Wasserstoff und CO₂ und tragen so maßgeblich zu mikrobiellen Stoffwechselprozessen bei – etwa bei Wiederkäuern, aber auch im menschlichen Darm. Ihre Erforschung steckt allerdings noch in den Kinderschuhen, da sie extrem empfindlich auf Sauerstoff reagieren und schwer zu kultivieren sind.


Neue Entdeckung wirft Licht auf vergessene Mikrobenwelt im Darm

„Unsere Entdeckung liefert ein weiteres Puzzleteil für das funktionelle Verständnis des menschlichen Mikrobioms“, erklärt Christine Moissl-Eichinger, Professorin für interaktive Mikrobiomforschung an der Med Uni Graz. Denn: Während Bakterien im Fokus der Mikrobiomforschung stehen, fristeten Archaeen bislang ein Schattendasein – trotz ihres potenziell großen Einflusses auf zentrale Stoffwechselvorgänge im menschlichen Körper. „Archaeen wurden lange übersehen“, so Christine Moissl-Eichinger, „dabei könnten sie entscheidende Rollen für die Darmfunktion, den mikrobiellen Gashaushalt und möglicherweise sogar bei der Entstehung oder dem Verlauf bestimmter Erkrankungen spielen.“

Das Grazer Forschungsteam konnte durch eine Kombination modernster Methoden – darunter gezielte Kultivierung unter Sauerstoffausschluss, hochauflösende Elektronenmikroskopie sowie umfassende Genomsequenzierung – zwei besondere Vertreter dieser Mikroorganismengruppe aus dem menschlichen Darm isolieren:

Die neue Spezies Methanobrevibacter intestini WWM1085 unterscheidet sich genetisch und physiologisch deutlich von allen bisher bekannten Arten. Sie gedeiht ausschließlich unter strikt anaeroben Bedingungen, produziert Methan – und überraschend große Mengen Succinat (Bernsteinsäure), ein Stoffwechselprodukt, das im menschlichen Körper unter anderem mit Entzündungsprozessen in Verbindung gebracht wird.

Auch der zweite entdeckte Stamm, eine Variante von Methanobrevibacter smithii mit der Bezeichnung „GRAZ-2“, zeigt ungewöhnliche Merkmale: Er produziert Formiat (Ameisensäure), ein Molekül, das möglicherweise in den Energiestoffwechsel anderer Darmbewohner eingreift.

Beide Funde verdeutlichen: Die Welt der Archaeen im menschlichen Darm ist komplexer und relevanter als bisher angenommen – und bietet enormes Potenzial für weiterführende Forschung zu Gesundheit und Krankheit.


Archäom im Fokus: neue Wege für die Mikrobiommedizin

Die aktuelle Studie liefert einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis des sogenannten Archäoms, also jener Gesamtheit an Archaeen, die das menschliche Mikrobiom mitgestalten. Dieser bisher kaum erforschte Bereich der Darmflora könnte entscheidende Hinweise auf bislang übersehene Zusammenhänge zwischen Mikroben und Gesundheit liefern.

Dabei zeigt sich: Nur durch die gezielte Isolierung und Kultivierung solcher Mikroorganismen lassen sich ihre Eigenschaften und potenziellen Wirkmechanismen im Detail untersuchen. „Nur mit kultivierten Stämmen können wir gezielte mechanistische Untersuchungen durchführen“, betont Viktoria Weinberger, Erstautorin der Studie. „Das ist essenziell, um die Rolle einzelner Mikroorganismen in Gesundheit und Krankheit besser zu verstehen – und langfristig auch, um daraus therapeutische Ansätze zu entwickeln.“

Der Fund von Methanobrevibacter intestini und „GRAZ-2“ öffnet damit nicht nur ein neues Kapitel in der Archaeenforschung, sondern auch neue Perspektiven für die personalisierte Mikrobiommedizin der Zukunft.

Kontakt

Univ.-Prof.in Dr.in habil.rer.nat.
Christine Moissl-Eichinger 
Diagnostik- und Forschungsinstitut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin, Forschungsfeld Mikobiom & Infektion
Medizinische Universität Graz
T: +43 316 385 73770