Wenn die dunklen, kalten Wintermonate über uns hereinbrechen, rückt Vitamin D, das oft als das „Sonnenvitamin“ bezeichnet wird, für viele Menschen wieder stärker in den Vordergrund. Unter dem Sammelbegriff „Vitamin D“ versteht man eigentlich eine große Gruppe chemisch verwandter Substanzen (Calciferole), die eine Vielzahl an Stoffwechselvorgängen im menschlichen Körper regulieren. Insbesondere ist der Stoff für seine zentrale Rolle bei der Knochenmineralisierung bekannt. In einer Studie von Forscher*innen der Med Uni Graz wurde nun eine Methode entwickelt, um den Vitamin-D-Haushalt besser beurteilen zu können.
Wenn der Mangel kein Mangel ist
Zieht man das derzeit empfohlene Kriterium für die Diagnose eines Vitamin-D-Mangels heran, sind in unseren Breiten 40 bis 50 % der Bevölkerung davon betroffen. Ein weithin bekanntes Beispiel, was ein Mangel an Vitamin D auslösen kann, ist die Rachitis: Eine Kinderkrankheit, die durch weiche und brüchige Knochen gekennzeichnet ist. Während die Effizienz der Vitamin-D-Gabe zur Behandlung der Rachitis außer Frage steht, mehren sich allerdings wissenschaftliche Studien, welche die Sinnhaftigkeit einer ergänzenden Versorgung mit Vitamin D (zum Beispiel in Form von Tropfen) bei grundsätzlich gesunden Menschen infrage stellen. Selbst in Bezug auf die Knochen lassen sich positive Effekte kaum nachweisen. Daraus ergibt sich die Frage, wie treffsicher die aktuellen Empfehlungen zur Feststellung eines Vitamin-D-Mangels sind. Forscher*innen der Med Uni Graz haben deshalb in einer Studie eine neue Methode entwickelt, welche die funktionellen Aspekte des Vitamin-D-Stoffwechsels berücksichtigt und eine personalisierte Beurteilung des Vitamin-D-Haushaltes ermöglicht.
Vom Treibstoff zum Auspuff
Üblicherweise wird beim Vitamin-D-Test nur das sogenannte 25-Hydroxyvitamin D (25[OH]D) im Blut gemessen und ein allgemeingültiger Grenzwert zur Beurteilung des Ergebnisses herangezogen. Markus Herrmann vom Klinischen Institut für Medizinische und Chemische Labordiagnostik der Med Uni Graz erklärt, dass ein solches Prozedere aus vielerlei Hinsicht problematisch ist, da das 25(OH)D lediglich eine inaktive Vorstufe von Vitamin D darstellt, deren Messung Auskunft über die verfügbare Menge an Vitamin D gibt, aber nichts darüber aussagt, wie diese vom Körper genutzt wird: „Um das Auto als Vergleichsmittel heranzuziehen: Der 25(OH)D-Spiegel zeigt uns eigentlich nur an, wie viel Treibstoff sich im Tank befindet. Mit unserer neuen Methode messen wir gleichzeitig noch das inaktive Abbauprodukt 24,25-Dihydroxyvitamin D (24,25[OH]2D) und ermitteln somit auch, wie viel Abgas aus dem Auspuff kommt. Dadurch können wir bessere Schlüsse auf die Vorgänge im Körper ziehen und eine personalisierte Beurteilung erreichen.“ Die Forscher*innen konnten zeigen, dass Personen mit einem funktionellen Vitamin-D-Mangel eine stark erhöhte Sterblichkeit hatten, und zwar unabhängig vom 25(OH)D-Wert. Ebenso war der Knochenstoffwechsel deutlich aktiviert, was bekanntermaßen ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Osteoporose ist.
Zwei große und unabhängige Studienkohorten
Für die Analyse wurden Daten von zwei sehr großen Kohortenstudien herangezogen. Eine davon setzte sich aus 2010 österreichischen Blutspender*innen zusammen, während die andere 3316 Patient*innen, die zu einer Herzkatheter-Untersuchung angemeldet waren, einschloss. Von diesen Patient*innen gab es auch eine 10-jährige Nachverfolgung inklusive Informationen zu Todesfällen.
Der Weg zur personalisierten Medizin
Die Ergebnisse der Grazer Studie sind ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer personalisierten Beurteilung des Vitamin-D-Haushaltes. Damit soll zukünftig besser differenziert werden können, welche Patient*innen tatsächlich einen funktionell relevanten Vitamin-D-Mangel haben und potenziell von einer Supplementation des Stoffes profitieren könnten. In den untersuchten Kohorten reduzierte sich die Anzahl der von Vitamin-D-Mangel betroffenen Patient*innen um etwa 20 %, was erheblich zur Vermeidung unnötiger Vitamin-D-Gaben beitragen könnte. Weitere Studien sollen nun zeigen, welche Auswirkungen ein funktioneller Vitamin-D-Mangel auf die Knochendichte und das Risiko für Knochenbrüche hat.
Steckbrief: Markus Herrmann
Markus Herrmann ist seit August 2017 Professor an der Medizinischen Universität Graz, wo er als Vorstand das Klinische Institut für Medizinische und Chemische Labordiagnostik, leitet. Das Studium der Humanmedizin absolvierte er an den Universitäten Regensburg und Würzburg. Sein praktisches Jahr verbrachte er an Krankenhäusern in der Schweiz und Italien. Nach einem kurzen Ausflug in die Dermatologie begann er 2001 mit der Facharztausbildung für Laboratoriumsmedizin an der Universität des Saarlandes. Diese schloss er 2007 ab. Gleichzeitig erwarb er dort auch die Zusatzqualifikation zum Sportmediziner. Kurz darauf habilitierte er sich im Fach Laboratoriumsmedizin und erhielt ein Postdoc-Stipendium, mit dem er an die University of Sydney nach Australien ging. Dort arbeitete er später auch als Labormediziner und wurde 2010 zum assoziierten Professor ernannt. Im Jahr 2012 wechselte Herrmann nach Italien, wo er als Direktor die Leitung des Zentrallabors am Krankenhaus in Bozen übernahm. Fünf Jahre später wurde er an die Medizinische Universität Graz berufen, an der er in den vergangenen Jahren eine internationale Forschungsgruppe aufgebaut hat, die sich neben dem Knochenstoffwechsel auch mit anderen biochemischen Aspekten des alternden Menschen befasst.