Chromosome - AdobeStock / Dan Race

Krebsrisiko erkennen durch genetische Untersuchung

Die Großmutter starb an Eierstockkrebs, die Mutter erkrankte mit 43 Jahren an Brustkrebs, die Tochter bekommt mit 32 die Diagnose schwarzer Hautkrebs: Eine solche Familiengeschichte hat Jochen Geigl als Stammbaum vor sich liegen – und mit solchen Stammbäumen haben es er und seine Kolleg*innen am Diagnostik und Forschungsinstitut für Humangenetik an der Med Uni Graz jeden Tag zu tun. Rund fünf bis zehn Prozent aller Tumorerkrankungen sind genetisch bedingt – was nicht viel klingt, kann für ganze Familien dramatische Folgen haben. Von den mehr als 3000 Beratungen pro Jahr, die an der Humangenetik der Med Uni Graz durchgeführt werden, geht es in mehr als der Hälfte der Fälle um die Frage, ob der Krebs in den Genen liegt. Die Humangenetik in Graz ist dabei eines von zwei zertifizierten Expertisezentren in Österreich für solche erblichen Tumordispositionssyndrome.

„Wir haben Zuweisungen von Kolleg*innen an Krankenhäuser, die ihre Patient*innen zu uns schicken“, sagt Jochen Geigl. „Aber gerade in der jungen Generation kommen auch viele aus eigenem Antrieb zu uns, weil sie sich Klarheit verschaffen wollen.“ Sinnvoll ist eine genetische Untersuchung, wenn zumindest diese zwei Faktoren zutreffen: Ein Familienmitglied ist relativ jung an Krebs erkrankt oder es gibt eine Häufung von Krebserkrankungen in der Familie. Besteht der Verdacht auf ein genetisch bedingtes Krebsrisiko, dann wird eine kleine Auswahl der 20.000 Gene, die den Bauplan eines Menschen ausmachen, untersucht. Dafür ist nur eine Blutprobe notwendig, das Ergebnis liegt nach vier, fünf Wochen vor. Doch die noch viel größere Aufgabe: Die Ergebnisse der genetischen Untersuchung zu interpretieren – dafür gibt es die Fachärztinnen und Fachärzte für medizinische Genetik.

Ein genetisches Tumorsyndrom kann so aussehen: Bei der familiären adenomatösen Polyposis entwickeln Betroffene unzählige Gewächse im Darm, die unbehandelt zu Darmkrebs werden. „Betroffene haben hunderte bis tausende Polypen im Darm“, erklärt Franziska Baumann-Durchschein, Ärztin an der Abteilung für Gastroenterologie am LKH-Uniklinikum Graz. „Würden wir diese nicht entfernen, hat der Betroffene mit 50 Jahren zu fast 100 Prozent Darmkrebs.“ Das häufigste erbliche Darmkrebssyndrom ist das Lynch-Syndrom, das für rund drei Prozent aller Darmkrebsfälle verantwortlich ist. Dabei liegt das Risiko, an Dickdarmkrebs zu erkranken, bei mehr als 50 Prozent, auch das Risiko für Gebärmutterkrebs steigt auf 40 Prozent. Bei Mutationen in den Brustkrebsgenen BRCA1 und BRCA2 kommt es bei 60 bis 70 Prozent der Betroffenen zu Brustkrebs und in 30 bis 40 Prozent zu Eierstockkrebs. „Die Patient*innen fühlen sich wie tickende Zeitbomben, daher ist es so wichtig, dass sie eine Anlaufstelle haben, wo sie begleitet werden“, sagt Baumann-Durchschein.

In Zusammenarbeit mit allen Fachdisziplinen wurden daher Leitlinien für die notwendigen Vorsorgeuntersuchungen für Menschen mit erblichen Tumorsyndromen entwickelt. Für Träger*innen einer BRCA-Mutation kann das zum Beispiel bedeuten: ab dem Alter von 25 Jahren jährlich zur MRT-Untersuchung der Brust, ab 35 zusätzlich jährlich zur Mammografie – oder Betroffene entschließen sich zu einer vorsorglichen Entfernung der Eierstöcke/Eileiter oder der Brustdrüsen. Bei der familiären adenomatösen Polyposis wiederum sollten Betroffene ab dem 12. Lebensjahr jährlich zur Darmspiegelung und zusätzlich ab 25 regelmäßig zur Magen- und Dünndarmspiegelung.

Wenn ich eine Genvariante in mir trage, gebe ich diese zu 50 Prozent an mein Kind weiter. Eine große Frage für Betroffene: Wie gehe ich mit dem genetischen Wissen um? Generell erfährt das Ergebnis einer genetischen Untersuchung nur der Betroffene selbst. „Wie man mit dem Wissen umgeht, muss jeder selbst entscheiden“, sagt Jochen Geigl – im Rahmen des Aufklärungsgesprächs wird darauf hingewiesen, was die Ergebnisse für Familienmitglieder bedeuten können. Jochen Geigl wird nie das Gespräch mit einer Patientin vergessen, die unheilbar an Eierstockkrebs erkrankt war und bei der eine genetische Vorbelastung gefunden wurde: Die Frau sagte: „Wenn ich nur gewusst hätte, dass man sich testen lassen kann, ich hätte mich ja vor dem Krebs schützen können.“

Darmkrebs-Vorsorge: In allen westlichen Ländern steigt die Rate an jungen Darmkrebs-Patient*innen: Woran das liegt, ist unklar – es wird ein Zusammenspiel von Umweltfaktoren wie schlechter Ernährung und zu wenig Bewegung vermutet. Als Reaktion wurde das Alter für die Darmkrebs-Vorsorge heruntergesetzt: Mit 45 Jahren sollten Frauen und Männer das erste Mal zur Darmkrebsvorsorge mittels Darmspiegelung (Koloskopie). Außerdem kann mittels FIT-Test auf Blut im Stuhl Darmkrebs frühzeitig entdeckt werden.

 

Jetzt über das Angebot der Humangenetik an der Med Uni Graz informieren: https://humangenetik.medunigraz.at/

 

Textnachweis: Sonja Krause, Kleine Zeitung