Schwangerschaftsdiabetes gehört weltweit zu den häufigsten Komplikationen während der Schwangerschaft. Etwa 14 Prozent aller werdenden Mütter sind davon betroffen. In den letzten Jahrzehnten konzentrierte sich die Forschung hauptsächlich auf spätere Stadien der Schwangerschaft (zwischen Woche 24 und 28). Neue Erkenntnisse einer australischen Studie aus dem Jahr 2023 zeigen jedoch, dass die Grundlagen für Komplikationen bereits vor der 20. Woche gelegt werden und daher früh gegengesteuert werden sollte. Ein Editorial sowie eine dreiteilige Serie an Publikationen im Journal Lancet richten die Aufmerksamkeit auf die Prävention und Behandlung von Schwangerschaftsdiabetes. Aus Graz waren die Sportwissenschaftlerin Mireille van Poppel (Universität Graz) und der Biochemiker Gernot Desoye (Med Uni Graz) beteiligt.
Ein globales Problem
Früher glaubte man, dass nur der Konsum von Nikotin, Alkohol und Drogen in der Schwangerschaft zu Problemen führt, dabei spielen weitaus mehr Faktoren eine Rolle. Die moderne Forschung befasst sich intensiv mit Schwangerschaftsdiabetes. „Die zunehmende Anzahl von Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes ist auf Faktoren wie Übergewicht, Stress und ungesunden Lebensstil zurückzuführen. Zusätzlich können Umweltbelastungen wie Feinstaub oder bestimmte Chemikalien zur Entwicklung von Schwangerschaftsdiabetes beitragen“, erklärt Gernot Desoye. „Während sich der Glukosestoffwechsel der Mutter nach der Entbindung normalisiert, kann es beim Kind zu Spätfolgen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Adipositas kommen“, betont Mireille van Poppel. „Wenn der Fötus im Bauch der Mutter ständig Glukose verarbeiten muss, produziert er vermehrt Insulin, was zu Zellschäden führen kann.“
Frühe Diagnose als Präventionsschlüssel
Bislang wurde Schwangerschaftsdiabetes als Komplikation im letzten Trimester betrachtet. Aktuelle Forschungen zeigen jedoch, dass die Erkrankung und ihre Vorläufer in 30 bis 70 Prozent der Fälle schon früher diagnostiziert werden können. Richtige Ernährung und ausreichende Bewegung senken das Risiko bereits vor der 20. Woche. „Während die Pathophysiologie des Schwangerschaftsdiabetes in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft gut erforscht ist, fehlen uns grundlegende Kenntnisse darüber zu Beginn der Schwangerschaft“, erklärt Gernot Desoye.
Vorteile für die Schwangeren und das Kind
„Es ist wichtig, Schwangere mit Risikofaktoren für Schwangerschaftsdiabetes früh, bestenfalls vor der 14. Schwangerschaftswoche, zu testen und eine notwendige Behandlung einzuleiten. Frühe Erkennung und eine Verbesserung des Lebensstils mit gesünderer Ernährung, mehr Bewegung und weniger Sitzen können zur Verringerung des Komplikationsrisikos beitragen“, beschreiben Mireille van Poppel und Gernot Desoye, nachzulesen in einem kürzlich veröffentlichten Kommentar in Lancet Diabetes Endocrinology. Frauen, die an Schwangerschaftsdiabetes litten, sollten auch nach der Geburt jährlich untersucht werden, um mögliche Folgekomplikationen wie Typ-2-Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen früh zu erkennen.
Steckbrief Mireille van Poppel
Mireille van Poppel beschäftigt sich mittlerweile schon seit mehr als 20 Jahren mit den Auswirkungen und der Förderung von Bewegung in der Schwangerschaft, unter anderem für die Prävention von Schwangerschaftsdiabetes. Sie war im EU-weiten DALI-Projekt verantwortlich für die Interventionsentwicklung und Evaluierung und war in weitere internationale Projekte zum Thema gesunder Lebensstil in der Schwangerschaft involviert.
Steckbrief Gernot Desoye
Gernot Desoye forscht seit fast 40 Jahren zu verschiedenen Aspekten des Schwangerschaftsdiabetes, zuletzt zu Vorgängen vor allem in der Frühphase der Schwangerschaft und dazu, wie diese die Entwicklung des Mutterkuchens beeinflussen. Seine Arbeiten wurden mit einigen nationalen und internationalen renommierten Forschungspreisen gewürdigt. Desoye koordinierte das EU-weite DALI-Projekt und war in weitere EU-Projekte zu diesem Thema involviert. Er wirkte als Ad-hoc-Experte für das Europäische Parlament und arbeitete für die EU-Kommission sowie als Editor für wissenschaftliche Journale.