In der akademischen Welt sind die meisten Forscher*innen motiviert durch das Streben nach Wissen und den Wunsch, die Komplexität des Lebens zu verstehen. So herausfordernd und anspruchsvoll dieser Karriereweg bereits für alle ist, für Frauen ist er oft mit zusätzlichen Hindernissen und Barrieren verbunden.
In diesem Artikel stellen Carolin Költgen und Katharina Seifried zwei bemerkenswerte Wissenschafterinnen vor, die auf das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in der wissenschaftlichen Welt aufmerksam machen wollen. Lernen Sie Senka Holzer und Nikole Byrne kennen, beides erfolgreiche Herzforscherinnen an der Medizinischen Universität Graz.
Steckbrief Senka Holzer
Nach Abschluss ihrer MSc-Ausbildung in Biochemie in Novi Sad, Serbien, begann Senka Holzer ihre akademische Reise mit der Teilnahme am internationalen PhD-Programm "Molekulare Medizin" an der Medizinischen Universität Graz. Ihr Forschungsschwerpunkt lag in dieser Zeit auf der qualitativen und quantitativen Analyse des subzellulären Ionenhandlings in verschiedenen Kompartimenten isolierter Herzmuskelzellen.
Senka Holzers innovative Arbeit über die nukleäre Ca2+-Signalübertragung während des Beginns und der Entwicklung der Herzinsuffizienz brachte ihr kurz nach Abschluss ihrer Dissertation ein begehrtes dreijähriges Stipendium des FWF (Österreichischer Wissenschaftsfonds) ein. Im Rahmen dieses Stipendiums forschte sie als Postdoc an der University of California Davis unter der Leitung von Donald Bers, einem führenden Experten auf dem Gebiet der Ionenhomöostase und der genetischen Reprogrammierung in Herzmuskelzellen.
Nach ihrer Rückkehr an die Medizinische Universität Graz als Senior-Postdoc im Rahmen des Elise-Richter-Programms des FWF gründete sie 2020 mit Unterstützung von BioTechMed-Graz ihre eigene Forschungsgruppe, nachdem sie das Young Researcher Groups Stipendium gewonnen hatte. Heute ist sie Ass.-Prof. für Molekulare PathoKardiologie an der Klinischen Abteilung für Kardiologie und dem Gottfried Schatz Forschungszentrum der Medizinischen Universität Graz.
Senka Holzers primäres Forschungsinteresse gilt der subzellulären Ionensignalübertragung in der (Patho-)Physiologie des Herzens. Zu ihren wichtigsten Beiträgen auf diesem Gebiet zählen die Weiterentwicklung von Methoden zur Quantifizierung von Ca2+-Signalen in verschiedenen subzellulären Kompartimenten isolierter Kardiomyozyten, die Charakterisierung früher Veränderungen in der nukleären Ca2+-Signalübertragung und der transkriptionellen Dysregulation bei Kardiomyopathien sowie die Identifizierung perinukleärer Regionen, die als Mikrodomänen für die Transkriptionsregulation wichtig sind.
"Seit ich denken kann, bin ich von der biochemischen Verbindung zwischen unserem Geist und unserem Körper fasziniert. Was als jugendliche Neugierde begann, entwickelte sich zu einem lebenslangen Bestreben, zu verstehen, wie diese Verbindung funktioniert."
Steckbrief Nikole Byrne
Nikole Byrnes wissenschaftliche Reise begann in ihrer Kindheit, als sie ein wissbegieriges Kind war und immer nach dem "Warum" fragte. Nikole Byrne zeichnete sich in Chemie aus und erwarb schließlich einen Bachelor-Abschluss in diesem Fach. Ihr praktischer Ansatz beim Lernen führte dazu, dass sie sich zu Wissenschaften hingezogen fühlte, die mit Laborarbeit verbunden sind.
Nikole Byrnes Forschungskarriere begann an der University of Alberta in Edmonton, Kanada, wo sie unter der Leitung von Jason Dyck arbeitete und sich auf den Energiestoffwechsel des Herzens bei Herzinsuffizienz konzentrierte. In ihrer Doktorarbeit untersuchte sie das Behandlungspotenzial des SGLT2-Inhibitors Empagliflozin in einem nicht-diabetischen Mausmodell der Herzinsuffizienz. Ihre Arbeit in diesem Bereich beleuchtete die potenziellen therapeutischen Anwendungen von Empaglifozin, die über den bekannten Nutzen bei Diabetiker*innen hinausgehen.
Nach Abschluss ihrer Promotion führte Nikole Byrnes Weg sie an die Medizinische Universität Graz, wo sie sich der Forschungsgruppe von Heiko Bugger anschloss. Dort erforscht sie die Rolle des NAD+-Stoffwechsels und der NAD+-abhängigen Enzyme, der Sirtuine, in verschiedenen Modellen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ihre Forschung erstreckt sich auf Herzinsuffizienz, Herzinfarkt, diabetische Kardiomyopathie und Atherosklerose mit dem Ziel, translationale Forschung zu entwickeln, die zu einem besseren Verständnis der diesen Erkrankungen zugrunde liegenden Mechanismen beiträgt.
Derzeit konzentriert sich Nikole Byrnes Hauptprojekt auf die Untersuchung der Rolle von NAD+ in Leukozyten und dessen möglichen Beitrag zur Entwicklung von diabetesbedingter Atherosklerose. Sie erforscht, wie die unter diabetischen Bedingungen auftretende NAD+-Verarmung die Leukozytenfunktion beeinträchtigt und das Fortschreiten der Plaque vorantreibt. Besonders spannend ist das Potenzial der Wiederherstellung des NAD+-Spiegels mit Hilfe von Nikotinamid-Mononukleotid (NMN) in einem diabetischen Atherosklerosemodell.
Nikole Byrne setzt sich leidenschaftlich für die translationale Forschung ein und stellt sich eine Zukunft vor, in der ihre Arbeit an natürlich vorkommenden Substanzen wie NMN den Weg für frühzeitige Präventionsstrategien im klinischen Bereich ebnet.
"[...] Mich begeistert es wirklich zu verstehen, wie Dinge funktionieren, und nicht nur die klinischen Ergebnisse zu sehen. Daher liebe ich es besonders, mit grundlagenwissenschaftlichen Instrumenten die Mechanismen zu erforschen, die hinter der Wirkung von z.B. Nahrungsergänzungsmitteln und Medikamenten stehen.“
Frauen in der Wissenschaft
Senka Holzer und Nikole Byrne bieten gemeinsam die Lehrveranstaltung "Women in Science: Challenges and opportunities " als Wahlfach für PhD- und Doktoratsstudierende an der Medizinischen Universität Graz an. In dieser Blockveranstaltung werden die Studierenden ermutigt, in einem informellen Rahmen über Genderfragen in der Wissenschaft zu diskutieren und ihre persönlichen Erfahrungen auszutauschen, während ihnen gleichzeitig Fakten und Statistiken zum Thema präsentiert werden. Senka Holzer und Nikole Byrne geben einen Einblick in typische Hindernisse, aber auch Chancen, denen Frauen in der Wissenschaft begegnen können. Es ist ihnen vor allem wichtig, das Bewusstsein für dieses Thema bei Frauen und Männern zu schärfen.
Persönliche Erfahrungen, Herausforderungen und prägende Erlebnisse als Frauen in der Wissenschaft
Sowohl Senka Holzer als auch Nikole Byrne erinnern sich, dass sie zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Laufbahn dem Thema Geschlechterungleichheit in der Wissenschaft eher naiv gegenüberstanden, sich aber im Laufe ihrer Karriere immer wieder in augenöffnenden Situationen wiederfanden. Für Senka Holzer war ihr Mutterschaftsurlaub und vor allem der anschließende berufliche Wiedereinstieg ein einschneidendes Erlebnis. In dieser Zeit wurde ihr zum Beispiel mitgeteilt, dass sie aus einem Projekt, an dem sie sechs Jahre lang gearbeitet hatte, entfernt wurde, "weil wir nicht wussten, ob du zurückkommst und wir dich irgendwie vergessen hatten". Darüber hinaus erinnert sie sich an viele unangemessene Kommentare, wie dass sie "sicherlich dem Phänotyp meines PIs entspricht" oder dass "Frauen während ihres PhDs großartige wissenschaftliche Arbeit leisten, aber nachdem sie Kinder haben, können sie einfach nichts mehr auf die Beine stellen".
"... und als 'rechthaberisch', 'aggressiv', 'herrisch', 'unhöflich', 'streitsüchtig', 'zu ehrgeizig' und was nicht alles bezeichnet zu werden, wenn ich eines der oben genannten Themen ansprach."
Im Gegensatz dazu sieht sich Nikole Byrne als eine der glücklichen Frauen, die während ihrer Forschungsausbildung keine schlechten Erfahrungen machen mussten. Für sie war es jedoch ein Hindernis, in ihrem Umfeld keine Wissenschafterinnen in höheren Positionen zu finden, da sie so keine Vorstellung von den Herausforderungen hatte, denen sie später in ihrer Karriere begegnen würde.
Wahlfach “Women in Science: Challenges and opportunities”
Die oben erwähnten Erfahrungen und der Austausch mit Kolleginnen motivierte Senka Holzer, das Wahlfach "Women in Science: Challenges and opportunities" zu kreieren, um eine sichere Plattform für offene Konversation über das Thema für andere zu schaffen. Mit der Teilnahme am Wahlfach möchte Nikole Byrne das weibliche Mentoring und das Bewusstsein schaffen, das sie in ihrer wissenschaftlichen Ausbildung vermisst hat.
"Selbst wenn Frauen jetzt nicht in der Lage sind, als Mentorinnen zu fungieren, wollte ich ihnen verschiedene Möglichkeiten aufzeigen, wie sie etwas bewirken können - und sei es nur, mehr über das Thema zu sprechen - in der Hoffnung, künftige Studierende dafür zu sensibilisieren - und hoffentlich auch Männer!"
Beispiele für Herausforderungen von Frauen in der Wissenschaft und die "leaky pipeline"
Ein bekanntes Konzept der Geschlechterproblematik, insbesondere in den Life sciences, ist die sogenannte "Leaky Pipeline". Diese Metapher verdeutlicht, dass im akademischen Bereich mehr als die Hälfte der Master- und PhD-Absolvent*innen weiblich sind. In immer höheren Positionen nimmt der weibliche Anteil jedoch immer mehr ab, und nur eine kleine Minderheit der höchsten Ränge wird von Frauen besetzt. Nikole Byrne, die aus eigener Erfahrung spricht, sieht den Hauptgrund dafür im Mangel an weiblichen Mentorinnen. Da die meisten einflussreichen Positionen von Männern besetzt sind, erhalten naturgemäß bereits in unteren Rängen Männer mehr persönliches Mentoring als Frauen, und so setzt sich das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern fort. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, wäre es entscheidend, aufstrebenden Frauen das gleiche Mentoring zukommen zu lassen wie ihren männlichen Kollegen, sodass sie daraufhin in höheren Positionen wiederum jüngere Kolleginnen anleiten können. Ein weiterer wichtiger Faktor, auf den Senka Holzer hinweist, ist der Einfluss von Familienplanung und Kindererziehung auf die berufliche Laufbahn einer Frau. Diese erschweren weibliche Karrieren objektiv (ungeachtet dessen, wie stark Partner*innen involviert sind), während die Erwartungen für alle gleichbleiben.
"In meinem Fall fühlte es sich so an, als ob ich im Rennen (um die Festanstellung) mit dem Fahrrad bergauf fuhr und ein gutes Gefühl hatte, und dann (nach der Geburt) musste ich mit einem 50 kg schweren Anhänger weitermachen. Während ich das tat und mein Bestes gab, wurde ich von jungen Männern überholt, die zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich viel schneller waren. Es überrascht mich nicht, dass (viele) Frauen zu diesem Zeitpunkt aus dem 'Rennen' aussteigen.“
Ratschläge für junge Frauen, die eine akademische Laufbahn anstreben
Auf die Frage, was sie jungen Frauen raten würden, die eine wissenschaftliche Karriere verfolgen möchten, betonen sowohl Nikole Byrne als auch Senka Holzer die Wichtigkeit von vertrauenswürdigem Mentoring, idealerweise basierend auf ähnlichen Werten. Da dies nicht unbedingt von einem*einer direkten Vorgesetzten kommen muss, ermutigt Nikole Byrne dazu, sich bereits in einem frühen Karrierestadium zu vernetzen, um gleichgesinnte Kolleg*innen und Berater*innen zu finden. Als Frau in der Wissenschaft bedauert Senka Holzer, Ratschläge zu genderbezogenen Themen zu Beginn ihrer Karriere nicht ernster genommen zu haben. Stattdessen habe sie diese beiseite geschoben, weil sie zum gegebenen Zeitpunkt nicht relevant erschienen. Nikole Byrne wünscht sich, dass sie früher mit dem Thema Work-Life-Balance konfrontiert worden wäre, insbesondere im Kontext von Familienplanung.
"Ich hatte immer die Vorstellung, dass es nach dem PhD 'leichter' werden würde und die Zeit besser passen würde. Als ich jedoch mit meiner Postdoc-Phase begann, wurde mir schnell klar, dass es nicht einfacher wird und dass man aktiv eine Balance schaffen muss, die für einen selbst am besten funktioniert. Wichtig ist, dass dies für jeden anders ist. Am wichtigsten ist, dass es nie den perfekten Zeitpunkt geben wird.“
Das Seminar "Women in science: Challenges and opportunities" wird jedes Sommersemester als Wahlfach für PhD- und Doktoratsstudierende an der Medizinischen Universität Graz angeboten.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt. Link zur Orgininalfassung:
Das Interview wurde geführt von von Carolin Költgen und Katharina Seifried