Forschungsgruppe von Thomas Kroneis

Embryonalentwicklung: neue Perspektive auf Fortpflanzung

In einer Studie zur frühen Embryonalentwicklung bei Primaten hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Berthold Huppertz und Thomas Kroneis von der Med Uni Graz erstmals gezeigt, dass Spermien in die äußere Schicht von fünf bis sieben Tage alten Embryonen (sogenannte Blastozysten) eindringen können. Diese Entdeckung in einer entscheidenden Phase vor der Einnistung in die Gebärmutter könnte weitreichende Auswirkungen auf das Verständnis der Fortpflanzung, der Spermienkonkurrenz und des Schwangerschaftserfolgs haben und langfristig wichtige Hinweise zur Therapie bei Fertilitätsproblemen liefern.

 

Spermien und der Einfluss auf den Schwangerschaftserfolg

Das internationale Forschungsteam dokumentiert die Interaktion von Spermien mit Embryonen, die sich auf die Einnistung vorbereiten, und zeigt konkret den frühen biologischen Prozess der Fortpflanzung bei Rhesusaffen. Normalerweise werden Blastozysten durch eine Hülle, die sogenannte Zona pellucida, vor äußeren Einflüssen geschützt, doch vor der Einnistung des Embryos in die Gebärmutter „schlüpft“ der frühe Embryo aus dieser Schutzhülle. „Während dieses kritischen Zeitfensters können überzählige Spermien in die Blastozyste eindringen. Dies könnte ein evolutionäres Merkmal sein, das das Entwicklungsschicksal der Blastozysten beeinflusst“, erklärt Thomas Kroneis vom Lehrstuhl für Zellbiologie, Histologie und Embryologie am Gottfried Schatz Forschungszentrum für zelluläre Signaltransduktion, Stoffwechsel und Altern, Med Uni Graz.

Die Studie zeigt, dass zwischen 200 und 5.000 Spermien die Blastozyste im Einnistungsstadium erreichen können. Die Forscher*innen konnten sogar visuell nachweisen, dass intakte Spermienköpfe in die äußere Zellschicht, das sogenannte Trophektoderm, eingedrungen sind. „Ein solcher Eingriff könnte weitreichende Auswirkungen auf den Schwangerschaftserfolg haben, da Spermien – unabhängig von ihrer Herkunft – das Einnistungsvermögen der Blastozyste beeinträchtigen könnten. Blastozysten, die Schwierigkeiten haben, mit den eindringenden Spermien umzugehen, könnten anfälliger für Fehlschläge bei der Implantation sein“, so Lehrstuhlinhaber Berthold Huppertz.

 

Neue Perspektiven auf den Fortpflanzungswettbewerb und die Gesundheit

Ein solches Phänomen könnte auch zu einem evolutionären „Konflikt“ zwischen Spermien führen. Rivalisierende Spermien könnten das Scheitern der Einnistung fördern, um die Gene des erfolgreicheren Männchens zu bevorzugen. Dies könnte ein weiteres Beispiel für den Fortpflanzungswettbewerb im frühen Stadium der Embryonalentwicklung darstellen, der bereits bei anderen Tierarten beobachtet wurde.

Das Forschungsteam stellt zudem die Überlegung an, dass der Zeitpunkt des Koitus und das Eindringen zusätzlicher Spermien in die Blastozyste einen entscheidenden Einfluss auf den Schwangerschaftserfolg haben könnten. Häufiger Koitus rund um die Zeit der Einnistung könnte möglicherweise die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Schwangerschaft verringern, indem er die Entwicklung und die Einnistung der Blastozyste stört. „Dieser Hypothese sind bereits in der Vergangenheit Studien mit widersprüchlichen Ergebnissen gefolgt, weshalb hier weitere Untersuchungen interessant wären“, beschreibt Thomas Kroneis die weiterführenden Forschungsfragen.

 

Zukünftige Forschungsfragen mit möglicher Relevanz für die Familienplanung

Ein weiterer Aspekt der Studie befasst sich mit der Frage, ob die Spermien, die in die Blastozyste eindringen, möglicherweise die embryonale Entwicklung beeinflussen oder sogar zu einer Form von Mikrochimärismus führen könnten – ein Zustand, bei dem fremde Zellen im Körper des Embryos verbleiben und die Entwicklung beeinflussen. Die Entdeckung bietet eine Vielzahl von Fragen für zukünftige Forschungen. Die Wissenschafter*innen schlagen vor, die DNA-Typisierung von Spermien durchzuführen, um ihre Herkunft zu klären und herauszufinden, ob eingedrungene Spermien im Trophektoderm verbleiben und das Schicksal des Embryos beeinflussen können. Diese Fragen spielen eine zentrale Rolle für das Verständnis der Mechanismen, die den Erfolg einer Schwangerschaft beeinflussen. Darüber hinaus könnte die Forschung über die Interaktion von Spermien und Blastozysten auch weitreichende Bedeutung für die menschliche Gesundheit und die Entwicklung neuer Fortpflanzungsbehandlungen haben.

Weitere Informationen und Kontakt:

PD Dipl.-Ing. Dr.
Thomas Kroneis 
T: +43 316 385 71904

Kontakt:

Univ.-Prof. Dr.
Berthold Huppertz 
T: +43 316 385 71897