Jedes Jahr zur gleichen Zeit macht die Psyche Probleme: Schlafstörungen, gedrückte Stimmung, Appetitlosigkeit und mehr. Die saisonal abhängige Depression (SAD) tritt meistens im Winter auf und wird daher oft fälschlicherweise als „Winterdepression“ bezeichnet. Dabei können jahreszeitbedingte Verstimmungen ebenfalls im Sommer auftreten – wenn auch weitaus seltener. Warum es in der „schönsten Zeit des Jahres“ zu Depressionen kommen kann, erklären die Expert*innen der Med Uni Graz.
Selten aber belastend
Die Winterdepression ist bekannt; dass einige Menschen aber jeden Sommer mit psychischen Problemen zu kämpfen haben hingegen nicht. Betroffene finden oft schwer Hilfe oder fühlen sich unverstanden beziehungsweise wenig ernstgenommen, da man sich im Sommer „ja eigentlich besser fühlen sollte als sonst“. Während die Winterdepression gut erforscht ist und es effektive Behandlungsmöglichkeiten wie zum Beispiel die Lichttherapie gibt, gilt das für die Sommer-Variante nicht, was auch an der Seltenheit der Erkrankung liegt. Menschen, die an bipolaren Störungen leiden (d.h. Personen, die neben depressiven Phasen auch manische oder hypomanische Episoden haben) weisen häufiger eine saisonale Bindung auf als solche, die ausschließlich von Depressionen ("unipolare Depression") betroffen sind.
Als mögliche Ursache für die Verstimmungen im Sommer wird die Melatoninproduktion des Körpers gehandelt. Melatonin (nicht zu verwechseln mit dem Melanin, das Haut, Haare und Augen färbt) ist ein wichtiger Botenstoff, der unseren Schlaf-Wachrhythmus regelt. Ausgeschüttet wird das Hormon aus der Zirbeldrüse im Gehirn, wenn es dunkler wird – in Folge werden wir müder und schlafen ein. Wenn die Tage im Sommer länger sind und die Sonne heller strahlt, könnte es zu Störungen bei der Produktion und/oder Ausschüttung des Hormons kommen. Dies führt zu innerer Unruhe, könnte aber auch andere chemische Prozesse beeinflussen, die schließlich zu einer echten Depression führen.
Forschungsergebnisse zeigen: Wenn die Uhren anders ticken
„Störungen in chronobiologischer Rhythmik werden bei affektiven Erkrankungen im Allgemeinen und bei SAD im Besonderen immer wieder diskutiert. Auch an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin (unter der Leitung von Eva Reininghaus) wird intensiv an der Rolle von zirkadianen Rhythmen und der molekularen Uhr im Zusammenhang mit dem Auftreten und der Symptomatik bei psychischen Erkrankungen geforscht„ so Nina Dalkner, Scientific Director an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin der Med Uni Graz.
Erste epigenetische Analysen zeigen, dass die Methylierung und Genexpression des Uhrengens ARNTL möglicherweise direkt mit einem Neurotransmitter-Ungleichgewicht zusammenhängen könnte, was Stimmungsumschwünge triggern kann.
Ein weiteres Forschungsprojekt an der Med Uni Graz widmet sich speziell dem Thema “Einfluss von Sonnenlicht auf die bipolare Erkrankung”. Sonnenlicht hat einen großen Einfluss auf die Körperfunktionen, das Wohlbefinden und das Verhalten eines jeden Menschen, da Licht als Umgebungsfaktor einen wichtigen Zeitgeber für die Tagesrhythmik darstellt.
Unregelmäßigkeiten in der Alltagsführung und in den Schlaf-Wach-Zeiten führen zu psychischen und körperlichen Beschwerden, wohingegen eine wiederkehrende Struktur positive Effekte hat. Das Team der Spezialambulanz für bipolare Störungen ist Partner einer großen internationalen Multicenterstudie (unter der Leitung von M. Bauer, Dresden und T. Glenn, ChronoRecord Association, USA), um die Auswirkungen und Hintergründe von Sonnenlichteinwirkung auf Menschen mit bipolarer Erkrankung genauer zu untersuchen. „Erste Ergebnisse zeigten, dass Menschen mit bipolarer Störung mit wenig Varietät in den Sonnenstunden über das Jahr (das heißt in Äquatornähe, wo die Tage über das Jahr ähnlich lange mit ähnlich viel Sonneneinstrahlung sind) weniger Suizidversuche unternehmen.“ sagt Frederike Fellendorf, Assistenzärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin an der Med Uni Graz.
Der Sommer läuft anders
Wenn wir also einem geregelten Rhythmus folgen, kann der Körper üblicherweise die Ausschüttung der Neurotransmitter, wie Serotonin und Melatonin, gut selbst steuern. Im Sommer gelten aber meist andere Regeln: Ferien, Urlaube und lange Tage können den Tagesablauf durcheinanderbringen. Sinkt dadurch der Serotoninspiegel, kann es zu depressiven Störungen kommen.
Man geht davon aus, dass die Sommerdepression etwa 4-6% der Bevölkerung betrifft, wobei junge Frauen zwischen 20 und 40 Jahren am häufigsten daran erkranken. „Die Behandlung der Sommerdepression verläuft praktisch ident mit anderen depressiver Störungen. Neben Antidepressiva (wie zum Beispiel selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern) wird auf Gesprächstherapie und psychologische Behandlung gesetzt, um die Patient*innen zu unterstützen, ihren Tagesablauf zu strukturieren, körperliche Aktivität aufrechtzuerhalten und mithilfe von Psychoedukation Unsicherheiten und Ängste rund um die Sommerdepression abzubauen, um so wieder schöne und genussvolle Sommer erleben zu können“, fasst Nina Dalkner abschließend zusammen.
Steckbrief: Nina Dalkner
Nina Dalkner ist habilitiere Psychologin an der Medizinischen Universität Graz (theoretisch-experimentelle Psychiatrie) sowie Erst-, Corresponding- und Co-Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen in SCI-gelisteten und peer-reviewten Fachzeitschriften. Außerdem ist sie regelmäßig Vortragende auf nationalen und internationalen Konferenzen. Ihr wissenschaftlicher Fokus liegt auf der Erforschung der kognitiven Leistungen im Zusammenhang mit somatischen Komorbiditäten bei psychiatrischen Erkrankungen. Sie ist ebenfalls Lektorin sowie klinisch tätige Klinische- und Gesundheitspsychologin. Sie arbeitet seit 2012 in der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe von Eva Reininghaus an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin mit und wurde 2014 mit der psychologischen Leitung der Spezialambulanz für bipolar-affektive Störungen betraut. Seit 2020 ist sie Scientific Director und verantwortlich für die laufenden Studien an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Med Uni Graz.